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Warum fällt es Deutschen so schwer, den israelisch-arabischen Konflikt zu verstehen?

Ich war mir nicht sicher, ob ich den folgenden Text veröffentlichen sollte. Meine Homepage dreht sich um Israel und die israelische Gesellschaft, während sich dieser Artikel mit Deutschen beschäftigt und einem insgesamt sehr sensiblen Thema. Es fällt mir leichter über Sehenswürdigkeiten in Jerusalem und Hotels in Tel Aviv zu schreiben, aber gerade weil sich Deutsche oftmals sehr für den israelisch-arabischen Konflikt interessieren und weil mir das Thema persönlich am Herzen liegt, habe ich mich dazu entschlossen, meine Erfahrungen und meine Perspektive zu teilen.

 Ich erlaube mir hier generalisierende Aussagen darüber zu machen, was Deutsche in dieser Sache denken, und zwar aus zwei Gründen: zum einen aufgrund des engen Kontakts, den ich seit zehn Jahren mit Deutschen habe (ich lebe auch den Großteil des Jahres in Deutschland) und zum anderen wegen der Überschaubarkeit der Meinungen, die ich höre. Wenn ich Führungen mit Amerikanern mache, habe ich keine Ahnung, was sie über den Konflikt denken. Von extrem rechten bis zu extrem linken Meinungen, von persönlichen Kontakten bis zu tiefen religiösen Erfahrungen ist alles dabei. Sie können ein beeindruckendes Detailwissen haben oder auch eine völlig unrealistische Vorstellung. Von Deutschen dagegen, habe ich bisher keine extreme Meinung gehört. Das hängt vermutlich zum Teil auch damit zusammen, dass Deutsche gemeinhin sehr rational sind. Wenn ich Führungen für Deutsche mache, kann ich nicht sagen: Jesus war hier – und es dabei belassen. Ich muss wissen, welcher Archäologe die Ausgrabung leitete, welche zeitgenössische Überlieferung aus der Zeit des Zweiten Tempels (in der Jesus lebte) existiert und wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass er wirklich in einer bestimmten Gegend war.

 Wenn es um den Konflikt geht, vertreten die meisten eine Meinung, die sich etwas links der Mitte des politischen Spektrums findet.

Die durchschnittliche Meinung der Deutschen über den israelisch-arabischen Konflikt lautet:

Die Besetzung der West Bank ist die Wurzel des Konflikts.
Israel verschlimmert die Lage durch den Bau von Siedlungen.
Israel ist stärker und sollte daher die Rolle des „verantwortungsvollen Erwachsenen“ übernehmen.
Palästinensische Extremisten sind das Ergebnis einer von Israel verursachten Armut.
Die einzige Lösung ist, dass sich Israel aus den besetzten Gebieten zurückzieht und zwei Staaten nebeneinander bestehen.
Krieg ist grundsätzlich falsch.

(Dieser Artikel beschäftigt sich mit der deutschen Wahrnehmung des israelisch-arabischen Konflikts; allgemeine Informationen finden Sie hier: 10 Dinge über den israelisch-arabischen Konflikt, die Du noch nicht wusstest)

Eine erste Hürde in der Beschäftigung mit dem Konflikt ist für Deutsche, dass sie zu logisch an das Thema herangehen. Ginge es um Territorien, wäre der Konflikt längst gelöst. Wenn schon nicht die erste, dann wäre zumindest die zweite Generation einen Schritt zurücktreten und hätte abgewogen, was auf dem Spiel steht. Da zu viel auf dem Spiel steht, hätte man einen Kompromiss gefunden. Aber so einfach ist es nicht. Der Konflikt ist nicht rational. Hier prallen – auch wenn man im Alltag nebeneinander her lebt – Kulturen aufeinander und religiöser Fanatismus kommt mit ins Spiel.

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Im 20. Jahrhundert probierten die Deutschen alles aus – Imperialismus, Demokratie, Nationalsozialismus, Kommunismus. Sie kennen Extremismus.

Und hier sind wir bei den zwei Aspekten des Konflikts, die den Deutschen offensichtlich nur schwer zugänglich sind: politischer Extremismus und religiöser Fanatismus. Ich kann verstehen, dass Deutsche vergessen haben, was religiöser Fanatismus ist: Niemand kann sich heute in Deutschland vorstellen, dass sich ein bayerischer Katholik in Hamburg in die Luft sprengt oder ein protestantischer Extremist einen Amoklauf in einer katholischen Schule verübt. Deutsche haben vor 400 Jahren aufgehört, sich aus religiösen Gründen gegenseitig umzubringen. Aber ich bin erstaunt, wie schnell sie vergessen haben, was fanatische Ideologien sind. Das Gedächtnis der Deutschen scheint nicht besonders gut zu sein. Noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurden sie von Kaiser Wilhelm II. regiert, nach dem Scheitern der Weimarer Republik marschierten sie mit Hitler als totalitaristische und faschistische Nationalsozialisten und Ostdeutschland war noch bis 1989 eine kommunistische Diktatur, die in manchen Punkten extremer war als die Sowjetunion. Zu ihrem Glück leben die Deutschen seit einigen Jahrzehnten in einer Art politischem Paradies und aus den überzeugten Nazis und Kommunisten sind vorbildliche Demokraten geworden.

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Deutsche Katholiken und Protestanten haben sich seit 400 Jahren nicht mehr wegen ihrer Konfession umgebracht, aber politischer Fanatismus existierte bis 1989. Oben der 30jährige Krieg. Unten: Eine Maschine, die Karteikarten mit Informationen über Bürger enthält, wie sie bei der Staatsicherheit (Stasi), der repressiven Geheimpolizei der DDR, verwendet wurden.

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Und natürlich kann man nicht über Deutsche schreiben, ohne den Einfluss des Zweiten Weltkrieges zu nennen. Kein anderes Volk hat derartige Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen, und keine andere Nation hat die Erinnerung daran derart in seiner Identität verankert. Deutsche haben einen langen Prozess der Anerkennung ihrer Verbrechen und der Übernahme von Verantwortung durchgemacht. Ich erlebe, wie Deutsche heute einen großen Bogen um alles machen, was auch nur entfernt nach Nationalismus aussieht. Die Meinungen der Deutschen scheinen das absolute Gegenteil dessen zu sein, was der NS-Staat vertrat. Schwarz wurde weiß und rechts wurde links. Von patriotischem Nationalismus zu multikulturellem Internationalismus, davon, alles der Rasse zuzuschreiben, zur Zuschreibung auf soziale und ökonomische Umstände, davon, einen brutalen Krieg zu führen, hin zur grundsätzlichen Ablehnung des Krieges, selbst für die edelsten Ziele.

 Die Lehre des Zweiten Weltkrieges ist nicht, das Krieg böse ist, sondern dass wir gegen das Böse kämpfen müssen. Und nun kommen drei Wörter, die Deutsche nicht benutzen, obwohl ihre Geschichte ohne diese nicht verstanden werden kann: Gut, böse und Sieg. Deutschland ist heute nicht mehr imperialistisch, weil die Entente im Ersten Weltkrieg eine Seeblockade errichtete. Nicht durch Friedensgespräche ist Deutschland vom Faschismus befreit worden, sondern weil die Alliierten Nazi-Deutschland bombardierten, zerstörten und eroberten. Die Mauer zwischen den beiden Deutschlands fiel nicht, weil Deutsche auf beiden Seiten eines Morgens aufwachten und feststellten: Hey, wir sind ein Volk! Die Mauer fiel, weil die DDR zusammen mit dem gesamten Ostblock nach der Niederlage im Kalten Krieg kollabierte. Kriege, die für das, was gut und richtig ist, geführt wurden, haben Deutschland zu dem gemacht, was es heute ist. Natürlich liegt die Wahrheit nie voll und ganz auf einer Seite, doch sie liegt auch nicht in der Mitte. Es gibt Gutes und Böses und Dinge, für die es sich zu kämpfen lohnt.

 Die deutsche Linke und Israel

 Als ich vor zehn Jahren zum ersten Mal nach Deutschland kam, dachte ich, dass die Kritik an Israel von den Rechten käme. Ich hatte unrecht. Jede Kritik, die ich hörte, kam von den Linken. Das führt zu einer interessanten Verschiebung: Die Rechten kritisieren uns, weil wir jüdisch sind, während die Linken uns dafür kritisieren, Israelis zu sein. Die Linken pochen darauf, dass sich jede Kritik nicht auf die Israelis selbst, sondern nur darauf bezieht, wie sie mit den Palästinensern umgehen. Aber stimmt das? Wenn die politische Linke wirklich für Demokratie, Frauenrechte, sowie für Rechte der LGBT und Minderheiten stehen würde, dann müsste sie automatisch pro-Israel sein, weil man diese in der arabischen (bzw. palästinensischen) Gesellschaft vergeblich sucht.

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Obwohl Israel die einzige Demokratie ist, die die Rechte der LGBT anerkennt, kritisieren die deutschen und europäischen Linken Israel mehr als alle nicht-demokratischen, schwulenfeindlichen muslimischen Staaten.

Natürlich dürfen die Linken Israel kritisieren. Was mich aber überrascht, ist die Vehemenz, mit der diese Kritik vorgetragen wird. Wenn ein Deutscher einen Ägypter trifft, sagt er dann etwas darüber, dass mehr als 80% aller ägyptischen Frauen beschnitten sind? Würde ein Deutscher einem Yemeniten vorschlagen, sein Land zu teilen, ein Teil fiele den Houthis zu, einer den Unterstützern der Regierung? Oder würde er einen Lösung für die Lage im Irak, in Afghanistan, im Sudan oder in Syrien vorschlagen? Vermutlich nicht.

 Manche werden sagen, dass das besondere Interesse Deutschlands an Israel im besonderen Verhältnis der beiden Länder begründet ist. Aber dass Deutschland für den Holocaust verantwortlich ist, rechtfertigt nicht, dass Israel von Deutschen mehr kritisiert werden darf als andere Länder.

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